Karfreitag. Ein Feiertag. Ich habe keine Termine, geschäftlich sowieso nicht, aber auch keine privaten.
In mir hallt immer noch die Trauer und der Schmerz über die neusten Schläge auf den Keil nach, den Attentate wie zuletzt die von Paris und Brüssel zwischen Christen und Muslime treiben.
In meiner Familie habe ich den Islam vor allem durch Märchen wie jene aus "1000 und einer Nacht" oder den (nicht nur ) türkischen Till Eulenspiegel Nasreddin Hodscha kennen gelernt. Mein Großvater war als Diplomat mit seiner Familie in Istanbul stationiert. Mein Vater ist in Istanbul aufgewachsen und zur Schule gegangen. Meine Großmutter schenkte mir Bücher über islamische Architektur und einen Koran. Trotz dieser aus meinem Elternhaus mit gebrachten Offenheit dem Islam als Religion und Kulturraum gegenüber weiß ich doch sehr wenig über den Alltag von Muslimen.
Also habe ich mir heute ein Herz gefasst und bin dahin gegangen, wo ich meinte, möglichst viele Muslime anzutreffen - in die Aachener Bilal-Moschee.
Ich war aufgeregt. Ich wollte zum Freitagsgebet hin gehen. Das hat für gläubige Muslime etwa die Bedeutung wie für gläubige Christen der Sonntagsgottesdienst. Auf meine Email vom Abend zuvor, in der ich angefragt hatte, ob mein Besuch möglich und gewünscht sei, und ob ich etwas über Kleiderordnung oder Kopfbedeckung beachten müsste, hatte ich keine Antwort bekommen.
Mein Kopf mag Bewertungen, und als ehemalige Feministin stehe ich dem Kopftuch immer noch skeptisch gegenüber. Meine Gedanken bestehen darauf, dass es sexistisch ist, dass die Frauen ihre Reize verhüllen sollen, damit Männer nicht auf dumme Gedanken kommen - anstatt dass die Männer lernen, ihre Triebe in den Griff zu bekommen. Aber der Schmerz über die Trennung und meine Sehnsucht nach Kontakt waren so tief, dass mir das alles nicht wichtig schien. Ich wollte einfach in diese Moschee, in den Gottesdienst, um meinen muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern näher zu kommen.
Wie sich später heraus stellte, kam ich vor allem meinen muslimischen Mitbürgerinnen näher, weil ja in einer Moschee Männer und Frauen getrennt voneinander sitzen...
Noch aber bn ich zu Hause und mache mich fertig zum Aufbruch. Da stoße ich schon auf interessante Fragen: Es regnet nämlich, und ich habe vor, mit dem Fahrrad hin zu fahren. Natürlich steige ich also in eine Hose - und halte inne. Ist das okay?
Ich versuche, mich zu erinnern. Ältere muslimische Frauen sehe ich in der Stadt viel in mantelähnlichen Oberbekleidungen - ob sie darunter Röcke oder Hosen tragen, kann ich oft nicht sagen. Jüngere muslimische Frauen sehe ich schon in Hosen, manchmal mit langen Shirts darüber. Aus Pakistan und Indien kenne ich Fotos von Frauen, die Hosen, ein langes Hemd und ein lockeres Kopftuch tragen.
Ich beschließe, Hosen werden wohl ok sein, aber zur Sicherheit ziehe ich noch ein oberschenkellanges Kleid darüber. Ich hätte auch noch einen Rock mitgenommen, wenn ich einen gefunden hätte in meinem Kleiderschrank.
Ein, zwei Kopftücher packe ich auch ein, nur falls es für Besucherinnen keine gibt. Wie oft kommt das wohl vor, frage ich mich, dass christliche Mitbürgerinnen einfach so in ein Freitagsgebet wollen...
Mit dem Fahrrad brauche ich keine zwanzig Minuten zum Islamischen Zentrum e.V., das seinen Sitz in der Bilal-Moschee in der Nähe von Gebäuden der Aachener Uni hat. Mein Verstand knabbert wie gewohnt an seinen Zweifeln, als wären es Hundekauknochen: Werden sie mich rein lassen? Bin ich richtig angezogen? Wie werde ich aufgenommen? Was, wenn das Freitagsgebet heute gar nicht stattfindet?
In der Straße angekommen, sehe ich schon weit vor der Moschee Gruppen von Männern, die in Richtung Gebäude strömen. Ein weiterer Zweifel taucht auf, der mir meine Unwissenheit klar macht: Gehen Frauen überhaupt in die Moschee?
Ich frage den Mann, der an der Einfahrt Ordnungsdienst macht, und er sagt, "Natürlich - fragen Sie ihn!" und zeigt auf einen älteren Mercedes, den er gerade durch gelassen hat. Ich glaube, wer aussteigt, ist der Imam, aber sicher bin ich nicht. Jedenfalls begrüßt mich der Herr freundlich und bittet dann eine Dame, mich zu betreuen. Frau H. trägt ein Kopftuch und einen beigen Mantel, und schaut mich durch ihre goldrandige Brille freundlich an.
Natürlich fragt sie mich, warum ich hier bin. Ihr Deutsch ist gut, doch nicht ganz flüssig, und so versuche ich, nicht in eine meiner gewohnt komplizierten Erklärungen zu verfallen, sondern es einfach zu halten. Ich sage ihr: "Mein Herz tut einfach so weh nach den Ereignissen in Brüssel. Ich wollte einfach andere Bilder über Muslime in mein Herz lassen."
Die Frauen sitzen oben, auf einer Empore über den Männern, bei denen auch der Prediger steht und spricht. Im Vorraum ziehe ich meine Regenkleidung und meine Mütze aus, bevor ich den Teppich betrete. Als ich Frau H. frage, ob ich ein Kopftuch anziehen soll, sagt sie lächelnd, ja, im Gebetsraum wäre das besser. Ich komme mir total ungeschickt vor, als ich das Kopftuch zu einem Dreieck falte, und es mir im Nacken knote.
Die Frauen, die auf der Empore sitzen, grüßen mich freundlich und werfen mir neugierige Blicke zu. Frau H. bittet Frau M, eine Deutsche, mich zu betreuen und mir meine Fragen zu beantworten. Frau M., eine ältere Dame, ist schon mehrere Jahrzehnte Muslima, und glücklich mit ihrer Entscheidung. Aber bevor sie mir erklären kann, was auf mich zu kommt im Gottesdienst, fängt er auch schon an. Ich mache einfach mit.
Die in Arabisch gehaltene Predigt verstehe ich leider nicht, denn die angekündigte Übersetzung auf Deutsch fällt aus. Ein Teil der Gemeinde, der keinen Platz in der Moschee fand, steht nämlich draußen im Regen auf dem Platz vor der Moschee, wo die Predigt auch übertragen wird. Und der Prediger möchte nicht, dass die Menschen so lange im Nassen stehen müssen - sei würden nicht gehen, bevor der Gottesdienst nicht ordnungsgemäß beendet ist, denke ich.
Aber ich spüre, was er sagt, und natürlich verstehe ich die Worte Brüssel, Syrien, Lybien, Iraq, und seinen Tonfall: Ich glaube, er predigt seiner Gemeinde, dass das, was da passiert, nichts mit dem Islam zu tun hat. Und so ähnlich fasst Frau H. mir später auch die Predigt zusammen.
Die Niederwerfungen kommen mir aus dem Yoga bekannt vor. Johan Galtung hat einmal zu mir gesagt, dass Muslime eine ganz andere Beziehung zu Gott hätten, als wir Christen, weil sie sich vor Gott niederwürfen. Ich empfinde diese Haltung als sehr heilsam für meine Seele. Es fühlt sich stimmig an, die Verbeugungen mit den anderen Frauen nachvollziehen. Weil ich die Gebete nicht kenne, bete ich still für mich: "Gott, möge Frieden herrschen über alle religiösen und anderen Grenzen hinweg."
Bald ist der Gottesdienst beendet. Einige Frauen bleiben noch für persönliche Gebete zu Allah, wie Gott im Islam genannt wird. Frau H. und Frau M. unterhalten sich noch mit mir, über den Islam und wie es sich anfühlt, Muslim zu sein und ständig den Islam erklären zu müssen.
Dabei kommt eine Frau zu uns und sagt mir in gebrochenem Deutsch, etwas streng, dass meine Stirn bei den Niederwerfungen während der Gebete den Boden ganz berühren müsse. Meine beiden Patinnen schauen sich überrascht an, und sprechen dann in Arabisch mit der anderen Frau. Ich sage nur, "Danke, das wusste ich nicht."
Später, vor der Moschee, sehe ich diese Frau mit zwei Kindern zusammen an einer Mauer stehen. Das Mädchen, so erinnere ich mich, saß auf der Empore links von mir. Sie essen Datteln. Ich gehe zu ihnen, und unterhalte ich mit ihnen. Es ist eine syrische Familie, sie sprechen Englisch, und wir können uns fließend unterhalten. Sie laden mich ein, sie in der Eifel zu besuchen, wo sie leben. Ich überrasche mich selbst, dass ich zusage und ihnen auch meine Mobilnummer gebe.
Als ich wieder daheim bin, fühle ich mich etwas erschöpft von der Erfahrung. Ich glaube, ich habe mich ein bisschen zu sehr angestrengt, nur ja einen guten Eindruck zu machen. Und ich bin froh, dass ich trotz meiner Zweifel und meines Bammels hin gegangen bin.
Denn ich hatte das Glück von Begegnungen, und habe jetzt tatsächlich andere Bilder im Kopf. Und ganz bestimmt kann ich heute Nacht gut schlafen.